
Ein Akt der gnadenlosen Selbstüberschätzung
Als ich nach Uyuni aufbrach, dachte ich, der schwierigste Teil der Anden läge bereits hinter mir. Zwischen Tarija und Tupiza hatte ich über 4.500 Höhenmeter – größtenteils auf unbefestigter Straße – überwunden. Die Strecke von Tupiza nach Uyuni schien mit „nur“ 2.700 Metern und guter Asphaltierung dagegen wie ein Kinderspiel.

Doch da habe ich mich gründlich getäuscht. Höhenmeter sind eben nicht alles.
Ich startete spät in Tupiza und schaffte es an diesem ersten Tag nur bis zum Fuße des großen Berges. Dort durfte ich unter dem Dach eines Hauses im kleinen Dorf zelten – zum Glück Windgeschützt.

Die rasende Britin auf zwei Rädern
Am nächsten Morgen stand die große Herausforderung des Anstiegs bevor. Doch bevor ich loskam, traf ich auf eine andere Radreisende – erst die fünfte, die ich in ganz Südamerika gesehen habe. Wir kamen ins Gespräch. Sie war Britin und radelte ähnlich wie ich über Lissabon, Brasilien und Argentinien bis hierher. Auch sie wollte nach Uyuni.

Wir beschlossen, erst einmal gemeinsam weiterzufahren. Sie erzählte mir, dass sie am selben Morgen in Uyuni gestartet war und noch am selben Tag bis Atocha wollte – eine Strecke, für die ich später vier Tage brauchen sollte. Aber sie hatte kein Zelt dabei und musste daher zwingend eine Unterkunft erreichen.

Sie meinte auch noch, sie sei keine gute Climberin, weil es in Großbritannien keine Berge gibt. Eine dreiste Lüge – nach wenigen Metern war sie mir schon davongefahren. Ich habe sie nie wieder gesehen.
Wind, Kälte und ein schlechter Zeltplatz

Als wäre das nicht genug, kam auch noch starker Gegenwind auf, der mit zunehmender Höhe kälter und unerträglicher wurde. Und auf über 4.000 Metern ist die Sauerstoffsättigung auch – sagen wir mal mäßig.

So kam es, dass ich an dem gesamten Tag nur 11 Kilometer schaffte. Abends fand ich keinen windgeschützten Platz und der steinige Boden machte es unmöglich, mein Zelt ordentlich abzuspannen. Entsprechend kalt wurde die Nacht.

Improvisiertes Abendessen und gefrorenes Wasser

Am nächsten Tag lief es etwas besser. Ich kam zwar immer noch nicht bis Atocha, fand aber einen besseren Zeltplatz, was die Nacht etwas angenehmer machte. Leider haben beide meiner Feuerzeuge spontan beschlossen den Geist auf zu geben – also gab es zum Abendessen nur rohe Paprika, die ich schon geschnitten hatte.

Am nächsten Morgen war das Wasser in meinen Trinkflaschen teils gefroren – ein kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommen sollte. Immerhin erreichte ich Atocha und den Warmshowers-Host, den ich bereits Tage zuvor kontaktiert hatte.

Wie die Britin die ganze Strecke an einem Tag geschafft haben soll, bleibt mir ein Rätsel. Aber sie hatte ja auch keine Wahl.
Atocha – eine Stadt im Fels

Atocha ist eine kleine Bergbaustadt, die in den Fels regelrecht hineingeschnitten wurde. Hier werden unter anderem Gold, Silber und Wolfram abgebaut. Der Weg zu meinem Gastgeber Luis war beschwerlich – nicht nur wegen der Höhenmeter, sondern auch, weil die unbefestigte „Straße“ vor Kurzem ohne Rücksicht auf Verluste neu gezogen wurde und selbst Luis nicht mehr genau wusste, wie er zu seinem Haus kommt.




Ich gönnte mir einen Tag Pause. Als mein Magen am geplanten Abreisetag rebellierte (vermutlich zu viel Arroz y Papas Fritas), durfte ich einfach noch einen weiteren Tag bleiben.

Und es machte ‚Bumm‘!
Um so näher ich an Uyuni kam, um so kälter wurde es – so kalt, dass morgens das Wasser in meinen Flaschen komplett gefrohr. Ich hätte diese genauso gut als Schlagstock nutzen können.
Ich wollte unbedingt in zwei Tagen Uyuni erreichen, um nicht noch einmal im Zelt schlafen zu müssen. Der Gegenwind machte es nicht einfacher, aber ich beeilte mich.




Dann, bei Sonnenuntergang, als nur noch 14 Kilometer bis Uyuni fehlten, passierte es:
Ich fuhr langsam den Standstreifen in einer Linkskurve hoch, hörte ein Auto von hinten – und plötzlich krachte es. Ich wurde über die Leitplanke geschleudert, mein Rad wurde seitlich gegen die Leitplanke grammt. Ich blieb fluchend liegen.
Hilfe in der Kalte
Nach einigen Schrecksekunden stand ich auf und sah das Ausmaß des Ganzen: Mein Gepäck verteilt auf der Straße und im Gebüsch, Fahrzeugteile mit rotem Lack wie ein Seitenspiegel und ein Scheinwerfer lagen überall verstreut. Das hat aber das Arschloch was den Unfall verursacht hat, nicht davon abgehalten einfach weiter zu fahren.
Ich stellte mich an die Straße und versuchte eins der wenigen Autos zu stoppen. Vergeblich. Es wurde immer dunkler und kälter und ich hatte noch nicht mein Handy gefunden. Immerhin wusste ich das es noch funktioniert, weil meine Musikbox weiterhin Musik abspielte. Irgendwann fand ich es im Gebüsch und konnte die Taschenlampe anmachen um noch besser auf mich aufmerksam zu machen. Um es anständig bedienen zu können und Hilfe zu rufen, fehlten mir aber in dem Moment die motorischen Fähigkeiten.



Nach über einer halben Stunde hielt endlich ein Familienauto. Sie riefen ein Taxi, gaben mir eine warme Decke und sammelten mein Gepäck ein.
Das Taxi fuhr mich dann nach einer geführten Ewigkeit zu einem öffentlichen Krankenhaus. Dort wurden meine Wunden versorgt und eine große Wurde am Oberarm mit etlichen Stichen genäht. Der Kopf hatte zum Glück nichts abbekommen und die folgenreichen Verletzungen beschränkten sich anscheinend auf die Wunde am liken Arm und der linken Schulter.
Das habe ich mir wohl beim Versuch des Abfangen des Sturzes zugezogen. In diesem Krankenhaus durfte ich allerdings nicht über Nacht bleiben und so adoptierte mich kurzerhand die kleine Familie, die mir schon an der Unfallstelle geholfen hat und ich konnte bei ihnen schlafen.
Diagnose und Operation
Am nächsten Morgen erzählte ich ihnen, das ich meinen Arm nicht richtig bewegen kann und ich deswegen zum Röntgen wolle. Zuerst bräuchte ich aber Geld um die Rechnungen bezahlen zu können.

Sie fuhren mich also erst zur Bank und dann zu einem privaten Krankenhaus mit Röntgenaperat. Nach dem Röntgen wollte mich das KH direkt da behalten, da der obere Knochen meiner Schulter so sehr verrückt sei, das er nur durch eine Operation fixiert werden könne. Nach einigen hin- und her überlege und einigen Telefonaten (u.A. mit der Auslandskrankenversicherung) stimmte ich dem auch zu.

Im Krankenhaus wurde ich wie ein König behandelt. Ich bekam ein Einzelzimmer, mir wurde auf Wunsch Zahnpasta und -Bürste gekauft und ich habe sogar einen vegetarischen Bürger bekommen (mein erster seit São Paulo!).

Die vergleichsweise einfache Operation lief gut und so konnte ich nach drei Tagen entlassen werden.
So langsam wurde mir auch immer klarer wie viel Glück ich hatte. Wäre ich nicht über die Leitplanke geflogen sondern wäre stattdessen zwischen Auto, Rad und Leitplanke eingequetscht worden – ich hätte wohl ganz andere Verletzungen davon getragen.
Luxus, Erholung – und ein neues Fahrrad
Nach der OP quartierte ich mich drei Nächte lang in einem Luxushotel ein – für 20€ pro Nacht. Sogar eins der miesesten Hostels was ich je von innen gesehen habe – eine Absteige in Barcelona – kostet mehr!


Hier ließ es sich bei Massagen und im Whirlpool ganz gut erholen :D. Nur die Sauna darf ich mit meinen Wunden natürlich leider nicht benutzen, wäre aber auch im Preis inklusive gewesen.

Anschließend zog ich für weniger als ein Zehntel des Preises in die Casa Pingui, eine Sammelunterkunft für Radreisende. Die Besitzerin hatte Mitleid mit meinem verletzten Arm und gab mir das einzige Bett – die anderen schlafen auf ihren Isomatten und in den Schlafsäcken auf Holzverschlägen.


Hier lernte ich auch Flor kennen. Sie kommt aus Schweden und ist seit Jahren unterwegs. Wie es der Zufall will, wollte sie ihr Rad und die Radtaschen los werden und so bin ich jetzt stolzer Besitzer von Negra!

Das kam mir auch gerade recht, denn von Wordy ist leider nach dem Unfall nicht viel übrig. Rahmen verbogen, beide Laufräder kaputt, Gepäckträger verbogen, Taschen zerfetzt.

Die hinten links hat es gar komplett zerschlitzt. Ironischerweise war es genau die, auf die ein Reisender in Granada/Spanien geschrieben hatte: „The only Limit is the bike!“

R.I.P. Worldy 😢

Gemeinsam mit meinen neuen Freunden Flor und Dylan brachte ich Wordy zum lokalen Radhändler, Gemeinsam demontierte er mit mir die noch brauchbaren Teile – mein Herz blutete schon ein wenig dabei. Einige Teile und selbst mein linker Schuh hatten rote Lackspuren vom Unfallauto abbekommen.



Rechts: nicht mehr verwertbar
Ab auf den Salzsee!



Da ich nicht mehr wie geplant selbst durch den berühmten ‚Salar de Uyuni‘ fahren kann, buchte ich eine Touristentour. Glücklicherweise hatte ich eine tolle Gruppe und wir hatten viel Spaß.



Besonders das Abendessen bei Sonnenuntergang im Salzwasser bleibt unvergesslich.

Jetzt habe ich mich genug erholt. Und langsam geht mir auch diese Stadt mit dem Charme einer Staubwüste auf den Keks. Es geht weiter Richtung Lima, wo ich meine Eltern zum lang geplanten Urlaub treffe. Heute Abend nehme ich den Bus nach La Paz – wenn alles gut geht.

Politische Lage: von Demonstrationen und Straßenblockaden
Die Betonung liegt auf dem „wenn“, den im Land herrscht aktuell große Unzufriedenheit. Wegen der Dollarknappheit gibt es kaum Benzin sowie mehrstündige Warteschlangen vor den Tankstellen und immer wieder Straßenblockaden gegen den Präsidenten. Ich habe schon einige abenteuerliche Geschichten über Busfahrten in dieser Zeit gehört.
Ob alles wie geplant lief, erfahrt ihr dann im nächsten Blog.
Passt auf euch auf – vor allem, wenn ihr in Bolivien mit dem Rad fahrt.
Euer Florio 🙂

Blogbeitrag vom 14.06.2025
Oh Horror Florio, was für Strapazen! Von nun an soll bitte alles besser werden. Du kannst bestimmt Erholung brauchen. Ich drücke fest die Daumen, dass nichts mehr schief läuft!!!